Technology
29. sept 2025

Ist Ihr Unternehmen bereit für den Quantensprung?

Nahaufnahme von Microsofts Majorana-1-Quantenchip mit komplexen goldenen Schaltkreisen und Verbindungspunkten. 
Bildnachweis:  Grant Hindsley (New York Times)

Nach jahrelanger Forschung steht die Quantentechnologie vor ihrem Einsatz in der Praxis. Mit neuer Hardware und Software erkunden Firmen das Geschäftspotenzial von Quantencomputern. Sie sammeln Erkenntnisse aus ihrem Geschäftsalltag, um zum richtigen Zeitpunkt für den Einsatz einer ausgereiften Technologie gerüstet zu sein.

Text
Gary Andrew Poole

Wenn es um Investitionen im Technologiesektor geht, wird es riskant. Welche Innovationen in der Zukunft kommerziellen Erfolg haben werden, ist kaum absehbar. Manche Technologien setzen sich durch, andere verschwinden wieder, und manchmal überholt eine Technologie eine andere. Quantencomputing ist eine dieser Technologien, deren Zeit nach jahrelanger Forschung und Entwicklung jetzt endlich gekommen sein könnte. Die jüngsten Durchbrüche sind keine Prognosen mehr, und sie lassen erahnen, welches Potenzial die Technologie hat.

Anfang 2025 haben Google und Microsoft neue Quantenchips vorgestellt. Das kalifornische Start-up-Unternehmen PsiQuantum hat angekündigt, bis 2029 einen kommerziell nutzbaren Quantencomputer ausliefern zu wollen. Diese Meilensteine zeigen, dass Quantencomputing offensichtlich große Fortschritte macht. Doch ist die Technologie nach wie vor fehleranfällig und leicht als die „nächste große Sache“ abzutun, die es nie wirklich schaffen wird. Die Frage ist also, ob Quantencomputing unmittelbar vor dem kommerziellen Durchbruch steht – oder nicht.

Handliches Kraftpaket
Microsoft stellte kürzlich den Majorana 1 vor, den ersten Quantenchip mit topologischer Kernarchitektur. Künftig könnten eine Million Qubits auf einem kleinen Chip Platz finden.
Eine Person hält Microsofts kompakten Majorana-1-Quantenchip in der Handfläche und zeigt dessen geringe Größe und goldene Details. 
Bildnachweis:  Grand Hindsley (New York Times)

Quantencomputing unterscheidet sich zunächst einmal von klassischer Datenverarbeitung. Anstelle von binären Bits, kleinsten Dateneinheiten mit den Werten 0 oder 1, nutzen Quantencomputer sogenannte Qubits. Diese können aufgrund eines Phänomens, das Fachleute Superposition nennen, in mehreren Zuständen gleichzeitig existieren. Superposition bedeutet, dass ein Qubit in einem Moment sowohl den Wert 0 als auch 1 annehmen kann. Das ermöglicht komplexe Berechnungen, deren Geschwindigkeit die der aktuell leistungsfähigsten Supercomputer der Welt bei Weitem übertrifft.

Trotz breiter Berichterstattung in den Medien bleiben Führungskräfte bislang zurückhaltend. Denn Durchbrüche werden seit Jahrzehnten angekündigt, Hype und Realität sind schwer zu unterscheiden. Doch dieses Mal scheint es anders zu sein. Die Hardware wird besser, die Software stabiler. Wissenschaftler zeigen sich zuversichtlich. Quantensimulationen treiben Fortschritte in der Physik, Chemie und Biologie voran. 

So könnten Quantenmodelle etwa die Düngemittelproduktion verbessern und damit den Hunger lindern. „Wenn man die Düngemittelausbeute um nur 1 % steigern könnte, hätte das dramatische Auswirkungen“, sagt Daniel Lidar, Professor für Elektronik und Chemie an der University of Southern California (USC) und führender Experte für Quantencomputing. Quantencomputer sind zwar noch empfindlich, aber Unternehmen bauen bereits Expertenteams auf. Sie bereiten sich auf reale Simulationsanwendungen vor, danach wenden sie sich komplexeren Problemen zu, etwa in der Logistik oder der Finanzmodellierung. 

Forscher wie Lidar arbeiten an der Verfeinerung der Fehlerkorrektur. Denn die ist entscheidend, um Quantencomputer für groß angelegte Anwendungen stabil zu machen. Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine ergänzende Rolle. Sie hilft, Herausforderungen im Quantencomputing schneller zu lösen. „Unternehmen können nicht warten, bis es zu spät ist. Denn dann müssen sie rund zehn Jahre Erfahrungswissen aufholen“, warnt Bert de Jong, Direktor des Quantum Systems Accelerator, eines von fünf nationalen Forschungszentren der Quanteninformatik des US-Energieministeriums. Eine unzureichende Vorbereitung könnte Unternehmen im Wettbewerb zurückwerfen. Viele Firmen loten deshalb bereits heute mit geheimen Teams das Potenzial von Quantencomputern aus.

Wie man sich jetzt vorbereitet
Expertise entwickeln
Manager sollten Beziehungen zu Quantenexperten aufbauen, Konferenzen besuchen und Pilotprojekte erkunden.
Kooperieren mit Marktführern
Statt von Grund auf neue Expertise zu entwickeln, sollten Unternehmen mit Branchenführern wie IBM, Google und Microsoft kooperieren.
Quantensichere Verschlüsselung und Quantensensorik nutzen
Anwendungen bieten sofort praktische Einstiegspunkte ohne vollständige kommerzielle Implementierung.
IBM-Forscherin Dr.  Maika Takita arbeitet in einem Quantencomputing-Labor und interagiert mit einem großen kryogenen Kühlsystem, umgeben von Server-Racks und Forschungsausrüstung. Bildnachweis: Connie Zhou für IBM.
Cool bleiben
Wissenschaftlerinnen wie Dr.  Maika Takita von IBM entwickeln Technologien für Quantencomputing in Echtzeit.
“Unternehmen können nicht warten, bis es zu spät ist. Denn dann müssen sie zehn Jahre Erfahrungswissen aufholen.”
Bert de Jong
Direktor von Quantum Systems Accelerator

Warum sollten Führungskräfte ausgerechnet jetzt in Quantencomputer investieren? Ein Teil der Antwort liegt in der Fähigkeit der neuen Technologie, die enormen Rechenanforderungen und den hohen Energieverbrauch von KI-Systemen zu beherrschen. Quantencomputing ermöglicht neue Wege bei der Problemlösung, die selbst Supercomputer kaum bewältigen können – etwa bei molekularen Wechselwirkungen in der Arzneimittelentwicklung oder bei der Optimierung globaler Lieferketten. 

Die neuesten Fortschritte zeigen das immense Potenzial des Quantencomputings, besonders beim sogenannten „Quantum Annealing“. Diese spezielle Form des Quantencomputings konzentriert sich auf Optimierungsprobleme, indem sie den energieärmsten Zustand eines Systems ermittelt. In einer weltweit beachteten Studie reklamierte D-Wave die sogenannte „Quantenüberlegenheit“ für sich. Das auf Quantum Annealing spezialisierte Unternehmen demonstrierte die Wirksamkeit seines Ansatzes für ein spezifisches Optimierungsproblem. Statt auf universelle Datenverarbeitung zielt D-Wave auf kombinatorische Optimierung. Bei bestimmten Aufgaben kann diese Spezialisierung klassische Rechenmethoden übertreffen und neue Maßstäbe für die Anwendung der Quantentechnologie setzen. 

Mittlerweile fließen erhebliche Mittel in den Markt für Quantentechnologie. 2025 soll er ein Volumen von 10,4 Milliarden US-Dollar erreichen und jedes Jahr um 70 % wachsen. Regierungen haben weltweit insgesamt 38,8 Milliarden US-Dollar Fördermittel bereitgestellt. China liegt mit 15 Milliarden US-Dollar an erster Stelle, gefolgt von der EU mit 7,3 Milliarden und den USA mit 1,1 Milliarden. Fachleute sehen die USA jedoch bei technologischen Durchbrüchen an der Spitze. Auch Risikokapitalgeber investieren zunehmend in Start-ups: 2024 flossen 1,9 Milliarden US-Dollar in Start-ups, ein Plus von 138 % gegenüber dem Vorjahr.

Die Marktsignale deuten darauf hin, dass Investitionen in Quantentechnologie früher Renditen abwerfen werden, als viele erwarten. Für Unternehmen ist die Botschaft klar: Wer zu lange damit wartet, riskiert, schnell hinter Konkurrenten zurückzufallen, die die Quantentechnologie bereits heute in ihre langfristige Strategie einbetten. „Es kommt darauf an, zum richtigen Zeitpunkt bereit zu sein“, sagt Lidar. „Selbst wenn Firmen Quantencomputing nicht aktiv vorantreiben, müssen sie wissen, wo sie einsteigen können, wenn die Technologie praxistauglich wird.“ Universitäten wie die USC arbeiten mit der Privatwirtschaft zusammen, um Unternehmen bei der Integration von Quantentechnologie in ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu unterstützen.

Kein Druck
Das britisch-amerikanische Unternehmen Quantinuum verpackt seinen Quantenprozessor samt Technik in ein sogenanntes „Physics Package“ – eine Ultrahochvakuumkammer, gekühlt mit flüssigem Helium. Die Kühlung dient nicht den Qubits, sondern sorgt für ein besseres Vakuum.

Nick Hunter-Jones, theoretischer Physiker an der University of Texas in Austin, warnt jedoch: Kommerzielle Anwendungen, bei denen Quantensysteme klassische Rechner übertreffen, werden noch Jahre oder Jahrzehnte auf sich warten lassen. „Ich würde viel Geld darauf wetten, dass es in den nächsten fünf Jahren keine kommerziellen Anwendungen für Quantencomputing geben wird. Aber ich würde kein Geld darauf wetten, dass es in 30 Jahren keine geben wird“, sagt er. 

Derzeit ist noch kein Quantencomputer verfügbar, der klassische Supercomputer in der Praxis übertrifft. Doch Durchbrüche in Quantenkryptografie, -kommunikation und -sensorik verändern bereits einzelne Industrien. Sie nutzen die Besonderheiten der Quantenmechanik, ohne auf vollständig realisierte Quantensysteme zu warten. 

Die Quantenkryptografie und -kommunikation funktionieren bereits heute. Künftige Quantencomputer werden heutige Verschlüsselungsmethoden schon bald knacken können. Deshalb wird „Post-Quanten-Kryptografie“ dringend notwendig. Regierungen und Finanzinstitute nutzen bereits quantenresistente Verschlüsselungssysteme, um sensible Daten zu schützen. Die Quantenschlüsselverteilung nutzt dabei die Quantenmechanik für absoluten Abhörschutz: Jeder Lauschangriff verändert automatisch die Daten selbst und alarmiert beide Kommunikationspartner. 

Die Quantensensorik ist dennoch die ausgereifteste unter den Quantentechnologien. Sie ermöglicht ultrapräzise Messungen, etwa in MRT-Geräten, Atomuhren, GPS-freier Navigation und der Früherkennung von Krankheiten. Quantensensoren haben kürzlich Parkinson im Frühstadium erkannt, Jahre früher als die herkömmliche MRT-Technologie. Der Markt dafür soll bis 2033 auf 4,2 Milliarden US-Dollar anwachsen. Die höchste Nachfrage wird aus dem Verteidigungssektor, dem Gesundheitswesen und der Autoindustrie erwartet.

“Selbst wenn Firmen Quantencomputing nicht vorantreiben, müssen sie wissen, wo sie einsteigen können, wenn die Technologie praxistauglich wird.”
Daniel Lidar
Professor an der USC

Testfeld für Innovationen

Zwei violette Auto-Symbole, von oben betrachtet, die in unterschiedlichen Winkeln auf einer Straße mit gestrichelten Fahrbahnmarkierungen positioniert sind und die Automobilindustrie darstellen.

Automotive

Quantenalgorithmen werden erforscht, um autonome Fahrzeuge bei Vorhersage und Steuerung komplexer Verkehrsmuster zu verbessern. Große Autohersteller wie BMW, Volkswagen und Ford testen Quantencomputing für die Optimierung von Lieferketten, die Materialforschung und effizientere E-Auto-Batterien.

Lila Strichgrafik-Symbol, das miteinander verbundene Zahnräder und Netzwerkknoten mit strahlenförmigen Verbindungspunkten darstellt und für Fertigungs- und Energiesysteme steht.

Fertigung & Energie

Quantensensoren können die vorausschauende Wartung in Fabriken verbessern, Energienetze optimieren und erneuerbare Energien zuverlässiger machen. Forscher testen zudem Quantenmodelle für eine effizientere Verteilung von Strom und das Speichern von Energie.

Lila Symbol eines Computermonitors, auf dem ein Molekülstrukturdiagramm mit verbundenen Knotenpunkten und Datenelementen angezeigt wird, das die pharmazeutische Forschung und Entwicklung darstellt.

Pharmazeutika

Quantensimulationen können die Arzneimittelentwicklung beschleunigen, indem sie molekulare Wechselwirkungen mit einer Präzision modellieren, die klassische Computer kaum erreichen. Roche und Pfizer erforschen aktiv quantengetriebene Ansätze für die Behandlung von Alzheimer und Krebs.

Googles Willow-Chip in einer kryogenen Gehäuseeinheit installiert, mit Schichten goldener Verkabelung und Komponenten für ultrastabilen Qubit-Betrieb nahe dem absoluten Nullpunkt. Bildnachweis: Google
Die Zukunft der Quantenkühlung
Der Willow-Chip von Google arbeitet nahe dem absoluten Nullpunkt, ermöglicht stabilere Qubits und bringt die Entwicklung hin zu skalierbarer Quanteninformatik voran.

Je nach Branche verläuft die Einführung der Quantentechnologie unterschiedlich schnell. Doch Akteure aller Größenordnungen arbeiten an besserer Hardware. Die fortschrittlichsten Quantencomputer verfügen heute über etwas mehr als 1.000 physische Qubits. Für praktische Vorteile werden jedoch mindestens eine Million fehlerkorrigierter Qubits nötig sein. IBM stellte 2023 seinen 1.121-Qubit-Prozessor „Condor“ vor, Google präsentierte 2024 den 105-Qubit-Chip „Willow“. Amazon stieg mit seinem Chip „Ocelot“ ins Rennen ein, der die Fehlerkorrektur in die Hardware integriert. DWave treibt seine Annealing-basierten Quantensysteme voran, während Microsoft an einem topologischen Qubit-Ansatz für mehr Stabilität arbeitet. Das britisch-amerikanische Unternehmen Quantinuum macht Fortschritte mit einer Technik, die geladene Atome für die Stabilität nutzt.  

Trotz dieser Dynamik sind echte Vorteile durch die Quantentechnologie noch Zukunftsmusik. Investitionen von Unternehmen fließen heute vor allem in Ausbildung und Pilotprojekte. Die Hardware schreite voran, aber Algorithmen und Software müssten mithalten, mahnt Bert de Jong: „Mehr Qubits zu bauen ist das eine. Aber damit sie reale Probleme lösen können, brauchen wir eine bessere Fehlerkorrektur und effizientere Algorithmen.“

Nick Hunter-Jones ist ebenso vorsichtig. „Führungskräfte sollten begeistert sein, aber skeptisch bleiben. Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, dann stimmt das meist auch“, sagt er. „Unternehmen, die zögern, riskieren einen Rückstand von einem Jahrzehnt“, betont Daniel Lidar. „Die Frage ist nicht, ob Quantencomputer die Branchen verändern werden, sondern ob Unternehmen bereit sein werden, wenn es so weit ist.“

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